Von Erik Heier
Charles-Bukowski-Bücher sind nichts für Warmduscher. An Stelle des
ehrenvollen Faustkampfs wird im komatösen Suff hemmungslos aufeinander
eingedroschen, vorzugsweise mit halbleeren Fuselbehältnissen. Haben Bukowskis
Helden, also zumeist er selbst, Sex, machen sie nicht etwa Liebe, sondern legen
schlicht alles flach, was bei drei nicht vom Bordstein weg ist, ohne Rücksicht
auf Alter, zerlaufene Schminke, mäßig saubere Unterwäsche. Der
lakonische Chronist der amerikanischen Großstadtgosse pflegte in seinen
Gedichten, Short Storys und Romanen die Liebe zum drastischen Detail.
Ekelhaft, würgen die einen. Faszinierend, lechzen die anderen. Zu diesen
anderen zählt der Berliner Schriftsteller, Journalist und Varietékünstler
Falko Hennig. Um Leben, Werk und Wirkung des 1920 im rheinischen Andernach geborenen
Experten für freudige Trunksucht, Pferdewetten, lästige Gelegenheitsjobs
und abgetakelte Girls jenseits der 40 zu erforschen, begründete Hennig
im Februar 1996 in Berlin die Charles-Bukowski-Gesellschaft. Heute vor sechs
Jahren starb "dirty old man" Bukowski, Spitzname "Henry",
73-jährig an Blutkrebs.
Sein Einfluss, findet Hennig, sei gerade bei jüngeren deutschen Schriftstellern
unverkennbar: Thomas Brussig, Benjamin von Stuckrad-Barre, Falko Hennig. Hennig
(Debütroman: "Alles nur geklaut") über den Bukowski in sich:
"Ich hoffe ihn zu erreichen bei Genauigkeit und Sparsamkeit der Formulierungen".
Mangelnde Forschungsakribie ist Falko Hennig schwerlich zu unterstellen. Auf
etwa 1000 Posten schätzt er sein Bukowski-Archiv: Bücher, Biografien,
Rezensionen, Filme. Auf Reisen führt sein erster Weg in Buchläden,
Büchereien, Zeitungssammlungen. Er kauft Ausgaben, die er noch nicht kennt,
oft in Sprachen, die er nicht spricht. Das abenteuerlich dahingezimmerte Bücherregal
in seiner Wohnung ist - gelinde gesagt - gut ausgelastet: "Und hier hätten
wir Bukowski auf Bulgarisch." Auf dem Pappdeckel des Büchleins räkelt
sich ein prallbusiges Vollweib. Spanische, polnische und japanische Ausgaben
rieseln gleich hinterher.
"Die erste Reaktion seiner Witwe Linda, als ich sie 1995 am Grab traf,
war: Henry would say, you are nuts." Na, wenn schon. Gerüchte einer
chinesischen Übersetzung? Hennig durchkämmt zwei Monate lang erfolglos
Archive im Mao-Land. Bukowski als Inspirationsquelle für Tom Waits? Hennig
versucht mehrfach, Waits zu interviewen, vergeblich. Immerhin überzeugt
er den Andernacher Bürgermeister zu einer Betongedenkplatte vor Bukowskis
Geburtshaus, befragt dort Dichter-Cousin Heinrich Karl Fett, fahndet nach Briefen,
Postkarten, Büsten. Als Nächstes steht am 16. August 2000 anlässlich
von Bukowskis 80. Geburtstag ein Kongress in San Pedro an. Auf dem dortigen
Friedhof Green Hills Memorial liegt das Grab des im Alter dank Ehe und Abstinenz
zur Ruhe gekommenen Dichters. Alles nachzulesen im von Hennig herausgegebenen
"Jahrbuch der Charles-Bukowski-Gesellschaft 2000".
Unregelmäßig hält Hennig Vorträge, etwa über "Bukowski
und der Film". Außerdem müsste endlich seine Korrespondenz genauer
untersucht werden, meint er. Bukowski selbst hatte mal gesagt, dass man Gedichte
genauso einfach und unterhaltsam schreiben müsse wie Briefe. Gilt als Umkehrschluss,
dass seine Briefe Lyrik sind? Es gibt noch viel zu tun für Bukowskis Mann
in Berlin.
DIE WELT, 30.10.2000